Was ist eine vorvertragliche Anzeigepflicht?

Ein Verstoß gegen vorvertragliche Anzeigeplichten kann in schwerwiegenden Fällen die Kündigung, den Rücktritt oder gar die Anfechtung der abgeschlossenen Versicherung durch das Versicherungsunternehmen zur Folge haben. Vorvertragliche Anzeigepflichten treffen den Versicherungsnehmer bei allen Versicherungen, die unter das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) fallen. Dies betrifft insbesondere Lebensversicherungen, Berufsunfähigkeitsversicherungen, private Krankenversicherungen (PkV), Haftpflichtversicherung usw.

Um seiner vorvertraglichen Anzeigeplicht nach § 19 Abs. 1 VVG gerecht zu werden, muss der Versicherungsnehmer die ihm bekannten Umstände, die das Risiko des Versicherers erhöhen und nach denen der Versicherer vor Vertragsschluss ausdrücklich gefragt hat, gegenüber dem Versicherer wahrheitsgemäß und vollständig beantworten. So fragt das Versicherungsunternehmen vor Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung regelmäßig nach festgestellten orthopädischen oder psychischen Erkrankungen gefragt, da diese Erkrankungen zu den häufigsten Ursachen der Berufsunfähigkeit gehören. Eine private Krankenversicherung (PkV) fragt grundsätzlich nach bekannten Vorerkrankungen, um beurteilen zu können, ob und in welchem Umfang der Versicherte zukünftig medizinische Leistungen in Anspruch nehmen wird. Der Lebensversicherer fragt in aller Regel nach der Rauchereigenschaft des Versicherten, da diese Eigenschaft die Lebenserwartung eines Menschen mindert und damit für das versicherte Risiko erhöht.

Folgen eines Verstoßes gegen vorvertragliche Anzeigepflicht

Werden vom Versicherten bei Vertragsschlusses bewusst falsche oder unvollständige Angaben gemacht, kann dies schwerwiegende Folgen haben. Der Versicherer kann je nach Schwere der Anzeigepflichtverletzung den Versicherungsvertrag kündigen, vom Vertrag zurücktreten oder gar den Vertrag anfechten. Die Kündigung ist dabei die gleichsam mildeste Sanktion. Sie wirkt nur für die Zukunft ab Zugang der Kündigungserklärung und lässt die Wirksamkeit des Vertrags für die Zeit vor der Kündigung unberührt. Rücktritt und Anfechtung haben demgegenüber schwerwiegendere Rechtsfolgen für den Versicherten. Rücktritt und Anfechtung führen nämlich regelmäßig dazu, dass nicht nur der Versicherungsschutz für die Zukunft entfällt, sondern auch die in der Vergangenheit erbrachten Versicherungsleistungen vom Versicherten an die Versicherung zu erstatten sind. Besonders schwerwiegend kann dies bei der privaten Krankenversicherung sein. Hier verliert der Versicherte seinen Versicherungsschutz für zukünftige Erkrankungen und muss außerdem noch die in der Vergangenheit erbrachten Leistungen (etwa: medizinische Behandlungskosten) erstatten.

Ausnahmen von der vorvertraglichen Anzeigepflicht

Ein Verstoß gegen eine Anzeigepflicht kommt aber nur dann in Betracht, wenn der Versicherer vor Vertragsschluss auch nach risikoerhöhenden Umständen ausdrücklich (und zwar in Textform, vgl. § 19 Abs. 1 VVG) gefragt hat. Hat beispielsweise ein Berufsunfähigkeitsversicherer nicht ausdrücklich nach der Rauchereigenschaft des Versicherten gefragt, muss der Versicherte dies auch nicht von sich aus offenbaren.

Im Übrigen kommt ein Rücktritt nur dann in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig verletzt hat, vgl. § 19 Abs. 2 und 3 VVG. Die Anfechtung kommt sogar nur dann in Betracht, wenn eine arglistige Täuschung und damit Vorsatz des Versicherten in Bezug auf seine vorvertragliche Anzeigepflicht vorliegt, vgl. § 22 VVG. Liegt hingegen nur eine leicht fahrlässige Aufklärungspflichtverletzung des Versicherten vor, kommt – wenn überhaupt – nur eine für die Zukunft wirkende Kündigung des Vertrags unter Einhaltung der Frist von einem Monat in Betracht, vgl. § 19 Abs. 3 VVG.

Im Einzelfall muss also immer genau geprüft werden, ob dem versicherten Vorsatz, (grobe oder leichte) Fahrlässigkeit oder vielleicht sogar kein Verschulden zur Last zu legen ist. Der Versicherungsnehmer genügt jedenfalls dann seiner Anzeigepflicht, wenn er die vom Versicherer bei Vertragsschluss gestellten Fragen zutreffend und vollständig beantwortet hat. Hat der Versicherungsnehmer beispielsweise selbst von einer bestimmten Erkrankung keine Kenntnis gehabt, etwa weil ein behandelnder Arzt eine aktenkundige Diagnose nicht hinreichend mit dem Versicherten kommuniziert hat, konnte der Versicherte naturgemäß auch seine Versicherung bei Vertragsschluss nicht hierüber unterrichten und demgemäß bestand dann auch keine Aufklärungspflicht. Hier darf der Versicherer dann weder Kündigung, Rücktritt noch Anfechtung erklären, obgleich der Versicherer angesichts der Aktenlage unter Umständen von einer arglistigen Täuschung ausgeht und die Anfechtung bzw. den Rücktritt demgemäß erklärt.

In einem daran anschließenden Rechtstreit zwischen Versicherung und Versicherungsnehmer muss dann der Arzt als Zeuge hinzugezogen werden, der sich dazu erklären muss, ob und in welchem Umfang er seinen Patienten über den Inhalt der Krankenakte aufgeklärt hat und inwieweit der Versicherungsnehmer damit Kenntnis hatte.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang sicherlich auch, dass das rückwirkende Rücktrittsrecht des Versicherers wegen grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht sowie das für die Zukunft wirkende Kündigungsrecht ausgeschlossen sind, wenn der Versicherer den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, ggf. zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte, § 19 Abs. 4 VVG. Ein Rücktritt ist auch dann ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen wurde, § 19 Abs. 5 VVG. Diese Privilegien genießt der Versicherte bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung allerdings nicht. Hierin liegt zugleich der wesentliche Unterschied zwischen Rücktritt und Anfechtung.

Der Versicherer bleibt außerdem zur Leistung verpflichtet, wenn die Verletzung der Anzeigepflicht sich auf einen Umstand bezieht, der weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich war, vgl. § 21 Abs. 2 VVG.

Fristen

Die Erklärung der Kündigung, des Rücktritts und der Anfechtung sind allerdings nicht fristlos möglich. Nach § 21 Abs. 1 VVG muss der Versicherer das Rücktrittsrecht und nach § 19 Abs. 3 VVG das Kündigungsrecht innerhalb eines Monats nach Kenntniserlangung von der Anzeigepflichtverletzung schriftlich geltend machen. Das Recht zum Rücktritt erlischt außerdem – unabhängig von der Kenntniserlangung – gemäß § 21 Abs. 3 VVG nach dem Ablauf von fünf Jahren nach Vertragsschluss, sofern der Versicherungsfall nicht vor Ablauf dieser Frist eingetreten ist und Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht weder vorsätzlich noch arglistig verletzt hat. Im Falle von Vorsatz bzw. Arglist beträgt die Frist für den Rücktritt zehn Jahre und entspricht insoweit der Anfechtungsfrist. Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung muss aber binnen eines Jahres nach Kenntniserlangung von den die Anfechtung begründenden Umständen erfolgen.

Fazit

Im Falle einer Anfechtung oder eines Rücktritts oder einer Kündigung wegen der Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten sollten Versicherungsnehmer sofort anwaltlichen Rat konsultieren. Der Rechtsanwalt kann einschätzen, inwieweit die Erklärung der Versicherung wirksam ist oder nicht. Gerade im Falle einer Krankenversicherung ist Eile geboten. Der Versicherungsnehmer braucht eine zuverlässige Einschätzung, ob sein Vertrag fortbesteht oder ob er sich einen neuen Versicherer suchen muss.

Rechtsanwaltskanzlei PSS Rechtsanwälte

Die Rechtsanwaltskanzlei PSS Rechtsanwälte vertritt Versicherungsnehmer im ganzen Bundesgebiet, die von der Kündigung, der Anfechtung und/oder des Rücktritts ihrer Versicherung betroffen sind.